Liebe Lehrkräfte, Schüler und Gäste, sehr geehrter Herr Direktor Glaser,
es ist für mich eine große Ehre, heute bei Ihnen sein zu dürfen und ich bin mir bewusst, welch schwierige Aufgabe sie mir zugeteilt haben. Herr Patrick S. meinte nämlich, ich solle etwas spezieller auf die landeskundlichen und politischen Gegebenheiten Lateinamerikas zu sprechen kommen, also jener Länder, in denen Spanisch oder Portugiesisch gesprochen wird.
Wo anfangen und wo aufhören? Wie sie wissen, sprechen wir hier über einen Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern, 20 Ländern und einer Fläche von 20 Millionen Quadrat Kilometern, doppelt so groß wie Europa, mit schroffen landschaftlichen Gegensätzen, vom undurchdringlichen Urwald bis zu schneebedeckten Andengipfeln. Die Anden haben eine Ausdehnung von 7500 km und erreichen eine Höhe von 7000 Meter.
Wir sprechen von pulsierenden Großstädten wie Buenos Aires oder Montevideo mit Europäischem Flair, wir sprechen von Favelas ohne Strom und Wasser, von riesigen Flüssen, der Amazonas hat eine Länge von 6500 km, an seiner Mündung in den Atlantik ist er bis 200 km breit, 3 mal so breit wie der Bodensee, wir denken an die Atacama Wüste in Chile, die doppelt so groß ist wie Bayern, alles das und mehr ist Lateinamerika! Und diese Gegensätze setzen sich im politischen Leben der 20 Länder mit 500 Millionen Einwohnern fort. Leider haben immer wieder wechselnde Diktatoren, meist dem Militär entstammende Diktatoren die Länder Lateinamerikas heimgesucht, ich erwähne nur die Namen Pinochet in Chile, Stroessner in Paraguay und Videla in Argentinien, wo Mitte der 70 er Jahre zehntausende Menschen verschwanden, diese Diktaturen prägten lange das Gesicht eines phantastischen Kontinents voller Gegensätze.
Ich könnte Ihnen nun stundenlang über Brasilien, Nicaragua den Amazonas, Peru und viele andere Länder erzählen, die ich selbst bereist habe, aber dies würde keinen Sinn machen, bereisen müssen Sie Lateinamerika selbst, und Sie werden es nicht bereuen. Die Reisen durch Lateinamerika haben mein Leben geprägt und prägen es bis heute!! Ich könnte Ihnen erzählen von meiner Amazonasdurchquerung auf einem Schiff mit Hängematte auf dem Schiffsdeck, umringt von Moskitos von Belem über die Stadt Urwaldstadt Manaus, die 1880 durch den Kautschukboom groß wurde und wo ein Opernhaus, eingeweiht 1896 die Attraktion ist, hier sangen schon Domingo und Carreras, hier wurde der Film Fitzcarraldo mit Klaus Kinsky gedreht, bis zur Urwaldstadt Iquitios, wo die Yanomani Indianer noch mit Blasrohren und Curare Pfeilgift ihre Beute erlegen.
Ich könnte Ihnen erzählen von einer 2000 km langen Busfahrt über Ecuador durch die Wüsten Perus wo die Fischer auf abendteuerlichen Caballitos-de Mar im wilden Pazifik Fischen gehen und über die Kilometerlange Fahrt durch die Favelas von Lima durch Wellblech und Papp Hütten im Staub ohne Elektrizität und ohne Wasser, eine unglaubliche Armut und ohne Hoffnung auf Besserung. Daneben dann unglaublicher Reichtum in San Isidro, einer Villengegend Limas, die Häuser mit hohen Mauern umgeben, oben noch Stacheldraht. Hier müssen die Schüler von ihren Eltern in den Schulhof gefahren werden, damit sie nicht vor der Schule gekidnappt werden. Ich erinnere mich an die Durchquerung des Flusses Rio San Juan de Nicaragua, wo in den Bäumen am Uferrand die Affen uns argwöhnisch belauern und auf den Sandbänken riesige Krokodile in der Sonne dösen. Dass Ornithologen wie der amerikanische Schriftsteller Jonathan Frantzen, bekannt durch das Buch „Die Korrekturen“ hier ihre Forschungen zur Vogelkunde betreiben, sei nur nebenher erwähnt.
Ich könnte Ihnen von der Durchquerung der peruanischen Anden erzählen, wo in beißender Kälte die Indios mit ihren bunten Ponchos am Straßenrand sitzen und herzzerreißend auf ihren Pan Flöten spielen. Mit dem Lied „El Condor Pasa“ von Simon und Garfunkel kam in den 70er Jahren diese Musik nach Europa. Hier sind die Berge so hoch und bedrohlich dass ein Menschenleben unbedeutend erscheint, ich kam vorbei an einem dem Dorf Yungay, wo nur noch die Kirchturmspitze aus dem Geröll hervorschaute, bei einem Erdbeben wurde 1970 eine Spitze des Berges Huascaran abgesprengt und vergrub das Dorf mit 20.000 Einwohnern!
Nein, ich möchte Ihnen von den politischen Besonderheiten einiger Länder berichten, von linken, sozialen Revolutionen, Diktatoren, der Armut und dem sagenhaften Reichtum einiger weniger Menschen. Mein Bericht ist subjektiv und entspricht meinen persönlichen Erlebnissen in diesen Ländern.
Wer sich näher mit der politischen Situation Lateinamerikas auseinandersetzen will, sollte unbedingt ‚Die offenen Adern Lateinamerikas‘ von Eduardo Galeano lesen, in Deutschland im Peter Hammer Verlag erschienen. Darin wird die 500 jährige Entwicklung Lateinamerikas von der europäischen Entdeckung und ökonomischer Ausbeutung bis hin zur Dominanz der USA erzählt, die Lateinamerika als ihren Hinterhof betrachteten. Das Buch wurde von den lateinamerikanischen Diktaturen verboten, was der Uruguayer Galeano als Ehre empfand, und 2009 erreichte es, über 40 Jahre nach seinem Erscheinen wieder Popularität, als der Venezolanische Präsident Hugo Chavez es vor laufenden Fernsehkameras US Präsident Obama überreichte.
Ihnen allen ist bekannt: Im Jahr 1492 entdeckte Kolumbus Amerika, er nannte die Ureinwohner Indianer, weil er glaubte, Indien entdeckt zu haben. Danach begann nicht nur die Ausbeutung der Schätze Lateinamerikas, sondern die Menschen wurden auch ihrer Kultur und ihres indigenen Glaubens beraubt. Über 300 Jahre erstreckte sich die Ausplünderung Lateinamerikas bis endlich unter Führung von Simon Bolivar 1821 der Herrschaft der Spanier ein Ende bereitet wurde.
Der letzte Militärputsch in Lateinamerika gegen einen gewählten Präsidenten fand 2009 in Honduras statt. Vor 4 Wochen wurde der populäre Präsident von Paraguay, Fernando Lugo abgesetzt. Er hatte sich beim politischen Gegner wegen seiner Landreform unbeliebt gemacht, er wollte den Großgrundbesitz ein wenig gerechter verteilen, fast alle Lateinamerikanischen Staaten verurteilten die Absetzung Lugos, das Land wurde aus den Organisationen Mercosur und Unasur ausgeschlossen. Seit dem Putsch in Honduras haben sich die Menschenrechtsverletzungen in Honduras wieder vervielfacht, die politischen Morde seit dem Putsch haben die Marke von 100 Toten überschritten, Journalisten werden bedroht, es herrscht ein Klima der Angst und Intoleranz. Mitte Mai 2012 wurde der bekannte Fernsehjournalist Alfredo Villatoro in Tegucigalpa ermordet, er war für den Fernsehsender Radio de Honduras tätig. In gesamt Lateinamerika wurden 2011 neunzehn Journalisten ermordet.
Am Beispiel der Geschichte Nicaraguas, das Land das ich als Konsul in Bayern vertrete, möchte ich Ihnen das Schicksal vieler lateinamerikanischen Ländern aufzeigen: Von 1934 bis 1979 herrschte die Diktatoren Familie Somoza in Nicaragua, der zweite Somoza wurde auf der US Militär Akademie in West Point ausgebildet. Politisch Missliebige verschwanden, der Reichtum des Landes verschwand in den Taschen des Somoza Clans. Wir kennen das aus Chile, Argentinien Paraguay usw., damals war die gängige Meinung in den Vereinigten Staaten: „Ja er, der Diktator, ist ein Schwein, aber er ist unser Schwein“. Als 1979 die Sandinisten Nicaraguas mit einem von der breiten Bevölkerung Mehrheit getragenen Aufstand den Diktator Somoza außer Landes getrieben hatte wurde eine Regierung aus allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen gebildet.
Da man in den USA Angst hatte, dass sich das soziale Projekt in Nicaragua auf die Nachbarländer ausbreiten könnte, ich nenne nur: Bodenreform, Alphabetisierung, kostenfreie Arzt Behandlung, kostenloser Schulbesuch, günstige Kleinkredite für Arme, Verteilung von Saatgut und Lebenden Tieren zur Aufzucht, Bau von einfachen Häusern, weil man in USA dachte, dass Nicaragua Vorbild für andere Länder werden könnte, begann man Nicaragua zu destabilisieren. Wirtschaftsboykott und Einreiseverbote waren noch die harmloseren Maßnahmen, welche die USA ergriffen, später aber wurden Söldner bezahlt, Häfen vermint und ein regelrechter Krieg dem Land aufgezwungen. Das konnte ein kleines Land mit 5 Millionen Einwohnern nicht lange durchhalten, 28000 Tote waren das traurige Ergebnis des dem kleinen Land aufgezwungenen Krieges. Die Bevölkerung war bald kriegsmüde, so verlor 1990 die Sandinistische Befreiungsfront die Wahlen und erhielt nur noch 40% der Stimmen, das bürgerlich Konservative Lager stellte Violetta Chamorro als Präsidentin.
Dass die Finanzierung des sogenannten Contra Krieges gegen Nicaragua am amerikanischen Gesetz vorbei über Waffenverkäufe an den IRAN stattfand schlug noch einige Wellen in Amerika, (ich nenne nur die Namen Contragate und Reagangate). 1986 wurde die USA vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Schadenersatzzahlung an Nicaragua verurteilt, aber der Spruch der unabhängigen Justiz wurde von den USA ignoriert!
Die sozialen Bewegungen in Lateinamerika waren einerseits erfolgreich, andrerseits wurden sie von den Machthabern, die um ihre Pfründe bangten, meist militärisch unterdrückt. Erfolgreich war der Kampf von Fidel Castro in Cuba, der sein Cuba nicht länger als das billige Bordell für Ausländer sehen wollte. Nicht erfolgreich war Ernesto Che Guevara. Nach dem Sieg der Revolution 1959 in Cuba und der Vertreibung des Diktators Batista, ging Che Guevara 1966 nach Bolivien, wo er bereits 1966 den bewaffneten Kampf für die Befreiung der Indios, Bauern und Minenarbeiter aufnahm. 1967 wurde Che Guevara vom Militär Boliviens ohne Gerichtsurteil als gefesselter Gefangener exekutiert.
Erfolgreich war die Sandinistische Befreiungsfront in Nicaragua, sie trieb die Jahrzehntelang diktatorisch herrschende Diktator Familie Somoza außer Landes, der demokratisch gewählte Chilenische Präsident Salvador Allende, ein Sozialist, wurde 1973 vom Militär weg geputscht, worauf eine 17 jährige Militär Diktatur unter General Pinochet das Land unterdrückte, Tausende Gegner des Regimes verschwanden und wurden umgebracht.
Seit 2 Jahren ist Camilla Vallejo, 24 Jahre alt, eine neue Hoffnung für Chile, sie versucht ein breites Bündnis von Studenten, Arbeitern, Bauern gegen die ungerechte Bildungspolitik ihres Landes zu organisieren, denn nur die Kinder von wohlhabenden Familien können sich das Schul-bzw. Studiengeld leisten. In Kolumbien kämpft die revolutionäre Untergrund Organisation FARC und versucht seit 1964 aus dem Urwald heraus, das politische System zu ändern, ihr späktakulärstes Unternehmen war die Gefangennahme der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die 6 Jahre gefangen gehalten wurde. In Peru kämpfte der Leuchtende Pfad, gegründet 1960 als Studentenbewegung vom Philosophie Professor Guzman an der Universität von Ayacucho, aber er scheiterte nach anfänglichen Erfolgen, ihre Anführer wurde gefangen genommen.
Das Leben der Reichen Lateinamerikas ist von Luxus geprägt, die Angestellten erhalten einen durchschnittlichen Monatslohn von 50 Dollar. Im Moment gibt es viele linke Regierungen in Lateinamerika, sie werden von den USA, aber auch von der BRD kritisch betrachtet, so hat das Deutsche Entwicklungshilfe Ministerium die Hilfe für Nicaragua um die Hälfte gekürzt. Der Wahlsieger der letzten Wahl in Nicaragua war nämlich wieder Daniel Ortega, der 1979 als junger Guerillero Somoza aus dem Land getrieben hatte. Es gibt kaum eine Mittelschicht in Lateinamerika, es gibt in vielen Ländern keine Sozialversicherung, keine Krankenkasse, keine Altersversorgung und von einem durchschnittlichen Lohn von 50 Dollar lässt sich natürlich nichts zurücklegen.
Die Menschen in Lateinamerika sind meist freundlich und fröhlich, obwohl sie nicht wissen, ob es morgen noch Wasser, Strom oder Arbeit gibt. Ich komme immer gut motiviert von meinen Reisen nach Nicaragua zurück und wundere mich dann über die vielen missmutigen Menschen in Deutschland, denen es so gut geht, wenn man mit Lateinamerika vergleicht.
Wegen der starken sozialen Gegensätze, der zahlreichen Revolutionen, der Militärputsche, der teilweise extremen Armut hat sich in Lateinamerika eine kritische kulturelle Elite gebildet, welche diese Ungerechtigkeiten anprangert. In Mexiko waren es die Maler Siqueros, Diego Rivero und Kahlo, in Kolumbien der Maler Botero, der nur mit Polizeischutz durch seine Heimatstadt Medellin laufen kann, die Schriftsteller Marquez, Vargas Llosa, der sogar für die Präsidentschaft in Peru kandidierte, die Schriftstellerin Gioconda Belli, welche die Rechte der Frauen in einer Revolution hervorhob und die in der Nicaraguanischen Revolutions Regierung mitarbeitete, der Schriftsteller Ernesto Cardenal, der vor 2 Monaten die höchste Literarische Auszeichnung Spaniens erhielt, den Preis Reina Sofia, und der lange Jahre als Kulturminister in Nicaragua arbeitete, er war übrigens letztes Jahr bei einer Dichter Lesung in Bad Wörishofen und München.
Der legendäre Ernesto Che Guevara, Idol meiner Jugend, scheiterte da die Arbeiter und Bauern in Bolivien noch nicht zu einer Revolution bereit waren und er ist mit Fidel Castro noch heute Vorbild zahlreicher Lateinamerikanischer Staatsoberhäupter. In regelmäßigen Abständen
besuchen diese Staatsoberhäupter Fidel Castro und holen sich seinen Rat.
Die katholische Kirche Lateinamerikas hat einen enormen Einfluss auf das Leben der Menschen und der Politik, viele Menschen sind gläubig.
Das Verbot der offiziellen Kirche, Verhütungsmittel zu benutzen, wird von vielen Priestern Lateinamerikas missbilligt angesichts von Tausenden von bettelnden und unterernährten Kindern auf der Strasse. Vor kurzem war ja unser Bayerischer Papst in Mexiko und Cuba und wurde von Hundertausenden von Menschen begeistert empfangen. Allerdings sind gerade in Lateinamerika viele Priester nicht mit der offiziellen Kirche konform und wurden deshalb vom Priesteramt ausgeschlossen.
Die Theologie der Befreiung, von Priestern gegründet wie Leonard Boff aus Brasilien, der Lehrverbot vom damaligen Kardinal Ratzinger erhielt, Oscar Romero aus El Salvador, der von rechten Todesschwadronen während einer Predigt in der Kirche umgebracht wurde, und Ernesto Cardenal aus Nicaragua ist eine Kirche der Armen für die Armen, welche die Armen nicht auf das Jenseits verweist, wo alles besser ist, sondern im Gegenteil, die Rechte der Armen unterstützt gegenüber den reichen Oligarchien, denen die Lebensumstände der Armen als Naturgegeben gelten.
Zum Schluss danke ich für Ihre Einladung an Ihrer Schule zu sein! Ihr Interesse an Lateinamerika freut mich sehr, Danke dass Sie den Erlös des heutigen Tages nach Bolivien senden, ein armes Land wie Nicaragua, und helfen Sie bitte mit, dass dieser große und phantastische Kontinent auch irgend wann einmal Gerechtigkeit und einen sozialen Ausgleich erfährt.
Sie sind jung. Vielleicht können Sie es noch erleben, mir war dies leider nicht vergönnt, im Gegenteil, habe ich immer wieder erlebt, wie soziale Bewegungen in Lateinamerika vernichtet wurden. Wir Europäer haben auf Grund unserer Geschichte, welche die Vernichtung und Ausbeutung der Schätze der indigenen Lateinamerikanischen Menschen und Kulturen mit zu verantworten haben, eine besondere Verpflichtung hierzu.