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Ernesto Cardenal

Poemas y Epigramas

Ernesto Cardenal – Das lyrische Werk – Poemas y Epigramas, München Glyptothek

Ernesto Cardenal – Das lyrische Werk – Poemas y Epigramas

»Mit Cardenal beginnt eine neue Ära in der südamerikanischen Lyrik: die Verschmelzung des Himmels mit der Erde, des Menschen mit Gott. Für Cardenal ist das Leiden Christi vor allem das Leiden der Menschheit.«

Evgenij Aleksandrovič Evtušenko

 

Die Poesie Nicaraguas spiegelt sich in ihrer ganzen Vielfalt im Werk des Dichter-Propheten Ernesto Cardenals wider. Geprägt durch die Dichtungen Rubén Daríos, Pablo Antonio Cuadras und José Coronel Urtechos beginnt Cardenals Leidenschaft für die Poesie schon in den allerfrühesten Jugendjahren. Heute ist es seine Dichtung, die der zeitgenössischen Lyrik Lateinamerikas wichtige Impulse gibt.

Grob gesehen kann Cardenals poetisches Werk in drei maßgebliche Etappen bzw. Inhaltsbereiche unterteilt werden:

  1. Angriff auf die sozial-politischen Mißstände wie etwa die der Somoza-Diktatur
  2. Romantisch-impressionistische Liebesgedichte
  3. Mystisch-religiöse Gedichte der pantheistischen, zuweilen panerotischen Naturphilosophie wie sie im späteren Cántico Cósmico zu finden sind.

 

Politik und Poetik, die Suche nach einer alternativen Lebensform, die den neuen Bedürfnissen nicht nur des nicaraguanischen Volkes gerecht wird, dies durchzieht sich durch sein ganzes künstlerisches wie auch kulturpolitisches Schaffen.

»Für Ernesto Cardenal gibt es kein größeres Geheimnis als die Liebe. Als junger Student schreibt er seine Gedichte getrieben von seiner Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen, das sich ihm entzieht. Als Novize im Kloster richtet sich sein Sehnen auf die Begegnung mit Gott und am meisten berühren jene Verse, deren Eros nicht zu unterscheiden ist von männlichem Begehren. Die „Gesänge des Universums“ des reifen Dichters schließlich rücken die Liebe als Gestaltungsprinzip ins Zentrum der gesamten Schöpfung.

Liebe – ob zu den Menschen oder zu Gott – ist für Cardenal nicht zu trennen von Sinnlichkeit, auch darum hat er nie ein jenseitiges Paradies beschworen. Dorothee Sölle schrieb an ihren Freund Ernesto: „Du hast sie beieinander gelassen: Religion, Politik und Liebe, Deine Liebeslieder sind politisch, Deine Psalmen erotisch. Deine Bejahung, deine Feier des Lebens ist umfassend“.«

 

 

»Epigramas« (1952-57)

Inspiriert von den antiken römischen Epigrammen Catulls und Martials wie auch vom vanguardismo José Coronel Urtecho greift Cardenal in seinem frühen Gedichtzyklus »Epigramas« deren Form und Tonfall auf.

Zunächst noch dominiert das bitter-süße Liebesmotiv, doch bald schon dringen in satirisch-scharf gefärbten Ton sozial-politische Themen in die Epigramme ein. Die Sprache ist klar und schnörkellos. Vielmehr konkretisiert er die politischen Mißstände seines Landes beinahe episch-prosaisch mit Worten der Alltagssprache. Narrativ und anekdotisch sind auch seine frühen Gedichte von Liebe und Sehnsucht.

Sukzessive soll hier die Poesie Cardenals besprochen werden. Begonnen werden soll mit dem Motiv der unerwiderten Liebe, mit dem Cardenal gerne auch seine Lesungen beginnt:

 

Al perderte yo a tí – Als ich dich verlor

Al perderte yo a ti, tú y yo hemos perdido:
yo, porque tú eras lo que yo más amaba,
y tú, porque yo era el que te amaba más.
Pero de nosotros dos, tú pierdes más que yo:
porque yo podré amar a otras como te amaba a ti,
pero a ti nadie te amará como te amaba yo.

Als ich dich verlor, haben wir beide verloren:
ich, weil Du die warst, die ich am meisten liebte,
und Du, weil ich es war, der Dich am meisten liebte.
Doch von uns beiden verlierst Du mehr als ich,
weil ich andere lieben kann, wie ich Dich liebte,
doch Dich wird niemals jemand so sehr lieben wie ich Dich.

 

Claudia

Te doy, Claudia, estos versos, porque tú eres su dueña.
Los he escrito sencillos para que tú los entiendas.
Son para ti solamente, pero si a ti no te interesan,
un día se divulgarán tal vez por toda Hispanoamérica
Y si al amor que los dictó, tú también lo desprecias,
otras soñarán con este amor que no fue para ellas.
Y tal vez verás, Claudia, que estos poemas,
(escritos para conquistarte a ti) despiertan
en otras parejas enamoradas que los lean
los besos que en ti no despertó el poeta.

Dir Claudia gebe ich diese Verse, weil Du ihre Herrin bist.
Ich habe einfache Verse geschrieben, damit Du sie verstehst.
Nur für Dich sind sie, doch wenn sie Dich nicht interessieren,
werden sie eines Tages vielleicht in ganz Lateinamerika verbreitet.
Und wenn Du auch die Liebe verachtest, die mir diese Zeilen diktierte,
so werden andere von dieser Liebe träumen, für die sie nicht bestimmt war.
Und vielleicht siehst Du dann, Claudia, wie diese Verse (geschrieben, um Dich zu erobern)
Küsse wecken in anderen verliebten Paaren, die sie lesen,
die Küsse, die der Dichter in Dir nicht wecken konnte.