Aquí no hay paraíso, hier ist kein Paradies. Der Satz erscheint zunächst seltsam und fehl am Platze, zumal in Las Peñitas, einem verträumten Fischerdorf an der nicaraguanischen Pazifikküste, gut drei Autostunden von Managua entfernt. Reiche Bürger aus León, der nahegelegenen zweitgrößten Stadt des Landes haben sich hier bunte Ferienhäuser an den kilometerlangen Strand aus Vulkansand gebaut. Die einheimischen Fischer präsentieren stolz ihren Fang, zerlegen und verkaufen die Fische am Strand. Jeden Abend verabschiedet sich die Sonne mit dem kräftigsten Rot über den hohen Wellen. Aquí no hay paraíso sagt das handgeschriebene Schild in einem Garten eines alten Hauses in Las Peñitas. Wie die Schönheit des Landes und dieser Satz zusammenpassen hat mich die ganze Reise über beschäftigt.
León ist für nicaraguanische Verhältnisse mit seinen knapp 200.000 Einwohnern eine Metropole. Eine Metropole, die es in ihrer Geschichte doppelt gab. Einige Kilometer östlich des heutigen León lag zu Füßen des Vulkans Momotombo im 16. Jahrhundert die Stadt León. Als der Vulkan ausbrach, wurde das alte León, León Viejo aufgegeben und zu Füßen des Cerro Negro, einem der jüngsten und ältesten Vulkane der Erde wiedererrichtet. Vielleicht um Gott zu besänftigen wurden die vielen Kirchen der Stadt gebaut, die heute León das Antlitz einer typischen mittelamerikanischen Kolonialstadt verleihen. Wenn der Cerro Negro unruhig wird – in den 1990er Jahren insgesamt dreimal -, dann füllen sich die Kirchen. Wer weiß, vielleicht hätte León sonst ein zweites Mal umziehen müssen. Tagsüber lähmt die Hitze die Stadt und ihre Einwohner, nachts erwachen die vielen kleinen Plätze zu Leben, an jeder Ecke wird Essen verkauft, Gottesdienste finden statt. Die Menschen von León wirken zufrieden und sind freundlich, auch wenn sie nach westlichen Maßstäben sicher nicht reich sind. Die offenen Wunden von Nicaragua sind hier auf jeden Fall nicht so leicht zu finden.
León und Granada scheinen Geschwister zu sein. Auch Granada ist reich an schmucken Kolonialbauten, auch in Granada ticken die Uhren etwas langsamer, beide Städte wirken sehr lateinamerikanisch. Granada liegt direkt am Ufer des Nicaraguasees, der von den Nicas auch La Mar Dulce, das süße Meer genannt wird. Wer den See einmal gesehen hat, weiß warum – der Bodensee passt mehr als fünfzehnmal in den Nicaraguasee. Das Klima ist etwas kühler, es gibt vieles zu sehen und der Ort bietet eine gute touristische Infrastruktur. Touren ins Umland bieten sich an, der Vulkan Masaya und die gleichnamige Stadt mit seinem Kunsthandwerkermarkt liegen nur ca. 20 Kilometer entfernt von Granada. Wer hier ankommt bleibt meistens länger als geplant. Und wird es nicht bereuen.
Wer die beiden Maisinseln, Little und Big Corn Island bereisen möchte, fliegt im Propellerflugzeug von Managua über Bluefields an der Karibikküste nach Big Corn Island. Die beiden Inseln gehörten den Briten, den Nicaraguanern, den US-Amerikanern und heute schließlich wieder den Nicaraguanern, was geografisch am naheliegendsten ist. Nur 70 Kilometer vom Festland entfernt, fühlt sich der Reisende wie in einem anderen Land. Nichts ist mehr nicaraguanisch, die Einwohner sind Nachfahren von schwarzen Sklaven, man spricht einen sehr kuriosen Dialekt des Englischen und die karibische Entspanntheit ist allgegenwärtig. Wer es eilig hat, ist hier falsch. Wer Zeit hat und sich an den schönen Sandstränden entspannen will, wer ein paar Tauchgänge machen möchte oder die karibische Küche probieren will, ist hier ganz richtig. Die Maisinseln, einst Versteck der Piraten, liegen heute auf den Drogenrouten von Kolumbien nach Mexiko. Trotzdem ist die Stimmung friedlich und Kriminalität kein großes Problem.
Managua ist Nicaragua in seiner konzentriertesten Form. Die vielen Erdbeben der Vergangenheit (das letzte große Beben im Jahr 1972 forderte tausende Tote) machte die Stadt zu dem seltsamen Gebilde die sie heute ist. Schon der Begriff ‚Stadt‘ scheint auf Managua nicht zu passen, zu weitläufig ist die Kapitale Nicaraguas. Ein wirkliches Stadtzentrum findet man vergeblich, einige Sehenswürdigkeiten in der Umgebung der alten Kathedrale wurden von der Regierung zwar lieblos wiederaufgebaut, doch wirkt dieses ‚Zentrum‘ wie ausgestorben. Das Leben findet andernorts statt, zum Beispiel auf den Märkten wie dem Mercado Oriental, wo hektisches Treiben herrscht und wo man auch einen Eindruck davon bekommt, wie arm viele Nicas wirklich sind. Managua ist die Stadt, in der riesige Geländewagen mit abgedunkelten Fensterscheiben Pferdekarren überholen und wo Luxushotels und elitäre Tennisclubs in der Nachbarschaft von einfachen Hütten stehen. Aber auch klassische Sehenswürdigkeiten hat Managua zu bieten, am schönsten ist die Loma de Tiscapa mit dem riesigen Sandino-Monument und einem genialen Ausblick auf Managua und die Tiscapa-Vulkanlagune.